ein Spiel zwischen Figur und Raum
– inspiriert durch Texte von Dennis DiClaudio aus Der kleine Neurotiker
Sind Sie leicht zu erschrecken?
Haben Ihre Hände heute früh eine andere Größe, als gestern Abend?
Wenn Sie den Akzent des Landes sprächen aus dem Sie nicht kommen, würde er so klingen, als würden Sie versuchen ihn erfolglos nachzuahmen?
Was ist Wahrnehmung und welche ist die richtige? Ein Spiel zwischen Figur und Raum sucht nicht nach Antworten, sondern will die Vielfalt und besonderen Blickwinkel der individuellen Realitäten aufzeigen, in denen wir uns bewegen und die hin und wieder in Frage gestellt werden müssen.
Am Ende geht es nicht um eine Analyse oder Richtigstellung, sondern den Entschluss damit sehr wohl leben zu können und zu erkennen, welcher Reichtum sich daraus ergeben kann. Die kleinen Merkwürdigkeiten werden zu den Delikatessen des Alltags, die wir in vollen Zügen genießen können.
Konzept
Die im Figurentheater anzutreffende Herangehensweise bei der Stückentwicklung Material, Objekt und Figur auf ihr Potenzial zur Darstellung von menschlichem Verhalten zu untersuchen, wird in dieser Inszenierung auf den Raum, in dem die Aktionen stattfinden, angewendet. Demnach ist die jeweilige Aufführung dieses Stücks, der das Spielprinzip Raum als Spielpartner zugrunde liegt, stets von der entsprechenden Räumlichkeit abhängig, in der sie sich ereignet. Diese Inszenierung soll dem Betrachter eine Vorstellung davon geben, wie vielschichtig und unterschiedlich die Wahrnehmung unserer Umwelt sein kann und sich daraus ein individueller Kosmos ergibt, an dem wir andere teilhaben lassen können, wobei wir auch Einblick in deren Version von „real“ bekommen.
Inhaltliche Grundlage sind Texte von Dennis DiClaudio aus seinem Buch: „Der kleine Neurotiker“. Wie bereits der Zusatz im Titel „Lexikon für Verrückte und solche die es werden wollen“ vermuten lässt, handelt es sich dabei um eine Art Nachschlagewerk für Neurosen, dem eine nicht ausschließlich medizinisch wissenschaftliche Betrachtungsweise zugrunde liegt. Der Autor versucht zum Teil auf humoristische Weise, Erklärungen für diese Phänomene und deren Ursachen zu liefern, ohne sich weder über Betroffene in einer diskriminierenden Weise lustig zumachen, noch einen mitleidigen Unterton zu verwenden. Vielmehr gelingt es ihm, den pathologischen Hintergrund der Thematik beim Leser als weniger bedeutsam erscheinen zu lassen, sondern lenkt den Fokus auf die besondere Wahrnehmung, die Menschen mit den aufgeführten Krankheiten und Störungen auf ihre Umwelt und auch sich selbst haben können. DiClaudio beschreibt in seinem Vorwort, dass ihm während seiner Recherche zu diesem Buch auffiel, wie fließend die Grenze zwischen den „kleinen Wunderlichkeiten“, die man auch an sich selbst und Anderen beobachten kann und den letztendlich als krankhaft definierten Verhaltensauffälligkeiten sein kann. Und auch während der Entwicklung eines Menschen, verändert sich immer wieder dessen Wahrnehmung auf sich selbst und das ihn Umgebende.
Dieser Schwellenbereich wird in einraum durch den ständigen Wechsel in der Darstellung von Mensch und Mensch als Figur thematisiert. Dabei wird der Raum neben seiner realer Erscheinung auch zum psychologischen Raum der Figur selbst, der ihren inneren Zustand wieder spiegelt. Die klar strukturierte Ästhetik des Schwarz-weiß-Kontrastes im Raum findet sich auch im Kostüm, das bis hin zur Verwendung von Masken reicht, wieder. Im Verlauf kommt es zum Schälen und Modifizieren der einzelnen Kostümschichten, woraus sich stets neue Figuren ergeben. Zum Ende hin werden dann auch einzelne abgelegt, sodass sich eine Vermenschlichung ergibt, die das Individuum erkennen lässt.
Für die Aufführung des Stücks ist im Vorfeld eine Versuchsreihe erforderlich, in der die Gegebenheiten des Ortes untersucht und in die Umsetzung integriert werden müssen. Der Zuschauer erfährt somit die ganz spezielle Korrespondenz des Spiels mit dem Raum, in dem auch er sich befindet. Je nach Aufbau wird er sich entweder klassisch in Sitzreihen vor der Spielfläche oder stehend bzw. sitzend um sie herum befinden. Auch die Variante, dass er von außen durch eine Schaufensterscheibe hineinschauen kann, ist denkbar.
Die verwendete Musik Wim Mertens tritt mit der inhaltlichen und darstellerischen Ebene des Stücks in Korrespondenz, die somit einen großen Assoziationsraum für den Zuschauer ermöglichen und wird nicht als illustrierendes Element oder atmosphärischer Teppich eingesetzt.
Joachim Fleischer, Leiter des Verbreiterungsfachs Intermediales Gestalten an der Akademie der Künste Stuttgart, hat die Stückbetreuung, und in Korrespondenz mit Katharina Muschiol die Regie ihrer Diplominszenierung übernommen